Rainer rosenberg

 

Hauptsache es rollt

 

Unscharfe Bilder, alte Geschichten.

 

Ein Bild, das Text, draußen enthält.

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ORF-Filmstill bearbeitet. Kamera: Hermann Dunzendorfer

 

 

Etappe eins: Aranciata, Marina, erste Reisen.

Ein Roadmovie sollte das Etappenziel einer Leidenschaft sein. Das passende Auto war angeschafft, die Leidenschaft war die Liebe zu italienischen Cantautori. Schließlich war ich ja zwei Jahre beim Fernsehen und hatte davor bedeutende italienische Schriftsteller (Italo Calvino!) und Chansonniers und Liedermacher für das Radio interviewt. Ich las deutsch und italienisch, lernte auf der Kinderschaukel als Vorschulkind in Rimini (oder war es doch Lignano?) uno, due, tre… zählen. „Otto“ liebte ich, das dsch bei dieci konnte ich schwer aussprechen und bis ich mir den Umstieg von sedici auf diciasette merkte dauerte es einige Zeit- Ab „venti“ war alles easy/facile/einfach.

In Italien war mein Vater anders, meine Mutter bewunderte ihn für seine italienischen Sprachkenntnisse, und wenn er einen Campari Soda trank, bekam ich eine Aranciata. Keine Ahnung was meine Mutter wollte. In der Erinnerung war ich mit meinem Vater in den Bars und konnte an der Theke zu ihm aufschauen. Ich glaube, das tat ich nur in Italien. Nicht nur wegen des Größenunterschieds. Wir sahen uns bei den Spaziergängen die tollen italienischen Autos an, und ich erinnere mich noch, dass ich ein Modell eines Fiat 1200 bekam – allerdings in braun, nicht in Rot, wie wir ihn hatten. In dieser Zeit hat wohl meine Italien-Liebe begonnen. Und ich frage mich, ob das eine verkappte Vaterliebe war. Der war als Jugendlicher oder junger Mann einige Zeit bei einer Familie in Camogli bei Genua, dahin fuhr die kleine Familie Jahre später, die wenigen Erinnerungen bestehen aus einem zusätzlichen Ortsnamen („Noli“) und im Schrecken beim Weg über eine Straße vom Parkplatz zum kleinen Hotel auf einem Hügel auf der anderen Straßenseite.

 

Der Prinz war nicht von Saint-Exupéry

Ein NSU Prinz (seltsam dieses Muster einer Einzel-Erinnerung) kam im Finsteren sehr schnell über die Kuppe gefahren. Ich empfand dieses Auto immer als hässlich und vor allem für Italien seltsam unpassend. Allerdings weiß ich inzwischen, dass Alfa Romeo, um sein Angebot in Richtung Kleinwagen zu erweitern, zu dieser Zeit den NSU Vertrieb für Italien übernommen hatte. Der Name NSU ist übrigens nach dem Entstehungsort Neckarsulm benannt, dem Ort, wo Neckar und Sulm zusammenfließen, und hat mit der späteren Neonazi Terroristengruppe nichts zu tun, auch wenn diese bei mir von Wikipedia vor den Auto- und Motorraderzeuger gereiht wurde, der 1969 durch die Fusion mit Audi im VW-Konzern aufging.

Mehr als einzelne Rückblicke sind frühkindliche Musikerinnerungen: Irgendwann in den 1950er Jahren hatten die Eltern ein Eumig-Radio mit eingebautem Plattenspieler angeschafft und für die Sehnsucht zuständig waren italienische Single Platten, die durch Angebote der Buchgemeinschaft „Donauland“ ergänzt wurden.

Ich habe den Eindruck, dass Mutter für die Lektüre zuständig war und Vater für die Musik,

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für Autos - und die Italienliebe, die ich nie mehr loswurde.

 

Vita quotidiana

Meine erste weitere selbständige Autofahrt führte nach Rom, Neapel und Paestum, ich fand italienische Freunde, die mir von ihren Helden erzählten: Francesco Guccini, Lucio Dalla, Francesco de Gregori, die drei wurden alle als „italienische Dylans“ beschrieben, Guccinis LP „Stanze di vita quotidiana“ wurde von einem österreichischen Freund, der eine italienische Mutter hatte, mit „Alltagslieder“ übersetzt, was mir einen Anknüpfungspunkt für die Vergangenheit und für die Zukunft bot: In der Vergangenheit lernte ich in einem Schulversuch lateinisch mit einer kommunikativen Methode: wir bekamen in der dritten und vierten Klasse Gymnasium ein Lateinbuch mit dem Titel „Vita Romana Quotidiana“ also „römisches Alltagsleben“ und mussten vor allem die Geschichten von Quintus und seinen Verwandten lesen, die Kenntnis der Vokabeln und der Grammatik sollte quasi automatisch erworben werden. Rückblickend scheint der Ansatz sehr interessant, mit Beginn der Oberstufe führte er aber zu einem deutlichen Pensum an Grammatik Nachlernen und Vokabel Studieren.

Aus damaliger Sicht in die Zukunft führte der Begriff „Alltag“, indem ich Jahre später zahlreiche Kolumnen unter diesem Titel für die Ö3-Musicbox und die Ö1-Reihe „Moment“ verfassen durfte. Außerdem glaube ich noch immer, dass z.B. Lieder, die sich mit dem alltäglichen Leben zum Beispiel der Nachbarn – egal, ob bei Tom Waits oder Josef Hader – beschäftigen, daran erinnern, dass „Nachbar“ mit der/die „Nächste“ verwandt ist.

 

PS: ich empfehle die Benutzung der Links zu den oben zitierten Musikstücken.

 

Alte Geschichten Etappe zwei:

Geschlechtertürme und Stadtindianer.

14.2.2022

 

Alte Geschichten Etappe drei:

Lachen und weinen

20.4.2022

 

Gut klingen

15.12.2021