Irgendwann bei der „Via del Governo
Vecchio“, der „Gasse der alten Regierung“, am kleinen Platz hinter dem die
große „Piazza Navona“ liegt, sah ich in einem kleinen Autogeschäft einen Alfa
Giulietta Spyder, der damals noch nicht ein „Oldtimer“ war. Circa 10 Jahre
später fand ich einen in einem Inserat in der Autorevue. Das war, wie mir
schien, das ideale Fahrzeug für meine Reise durch die Welt und das Italien der Cantautori.
Und so kommen wir zur dritten und letzten Etappe von
Unscharfe Bilder, alte
Geschichten.
Etappe
drei:
Lachen
und weinen.
Seit dieser Reise vor mehr als 30 Jahren hat sich
viel geändert. Um nur ein Beispiel im italienischen Hin und Her zu nennen: die
Verlagsgruppe „L’Espresso“ mit der 1976 gegründeten
damals unabhängigen linksliberalen Tageszeitung „La Repubblica“ gehört
inzwischen zum Fiat Imperium. Und vor kurzem wurde das Aufdecker-Magazin „L’Espresso“ aus dieser Gruppe herausgelöst und an den napoletanischen Unternehmer Danilo Iervolino
verkauft. Der wiederum hatte gerade seine von ihm gegründete offene Universität
„Pegasus“ um eine Milliarde Euro verkauft und den Serie A Fußballverein
Salernitana übernommen. Das linksliberale Berlusconi-kritische Magazin gehört
nun einem, der Bildung via start up
gewinnträchtig gemacht hat und von Berlusconi mehr als wohlwollend beobachtet
worden war. Aber was ist das Verlagswesen im Vergleich zu einem Stolz des industriellen Italien, der Autoindustrie. Zuerst
fusionierten fast alle italienischen Marken mit Fiat, dann fusionierte Fiat
global.
Die meisten italienischen Automarken
produzieren nun im Ausland und sind Teil multinationaler Konzerne: Wo die
Roboter produzieren, scheint nicht mehr so wichtig - solange die Endkontrolle
stimmt, der Produktionsfaktor Mensch ist praktisch überall erhältlich, je
weiter weg, desto billiger. Figuren wie Playboy und Fiat Präsident „L‘ Avvocato“ Gianni Agnelli werden durch Personen wie seinen
Enkel John Elkann ersetzt. Dass allerdings ein Cantautore ein Lied über ein Interview mit ihm schreibt, so
wie es Lucio Dalla mit „Intervista con L’Avvocato“ 1976 getan
hat, das scheint heute fast undenkbar. Dalla und der Avvocato
sind tot, Fiats Autosparte ist in „Stellantis“
aufgegangen, wo Peugeot zu dominieren scheint und Opel eine vergleichsweise
kleine Rolle spielt.
Der
zweite hinter der spiegelnden Windschutzscheibe neben Lucio Dalla ist Gianni
Morandi, Schlagerstar, kein Cantautore, aber auch er
kommt aus Bologna, und sinsgt gerne mit, wenn z.B.
die Emilia
im Lied von Francesco Guccini gepriesen wird, da
singen sie zu dritt und es tritt vieles in den Hintergrund. Politik weicht
einer Heimatliebe, alltäglichen Sorgen der Freude am Singen, und vielleicht
sollte auch die Begeisterung für Fußball nicht unerwähnt bleiben. Z.B. bei
Antonello Venditti.
„Grazie
Roma“ auch für Herbert Prohaska
Auch
wenn die Welt eine der Diebe ist. „In
questo mondo di ladri” scheint
sich Antonello Venditti oft ziemlich wohlgefühlt zu haben. In seinem
nachdenklichen Hit „Bomba o non bomba“ sang er über
die Frage ob in den bleiernen Jahren des Terrorismus im Zug über den Apennin
eine Bombe versteckt ist oder nicht, zur Feier des Meistertitels 1983 der AS
Roma gav es eine große Party am Gelände des
ehemaligen Circo Massimo mit seinem „Grazie
Roma“ als Höhepunkt (Herbert Prohaska war
Teil der Meistermannschaft).
Die
Zeiten in Rom laufen anders, sagte Venditti. Und auch wenn er da wohl besonders
an die Gelassenheit im Umgang mit Terminen gedacht haben mag, mich hat schon
früh die Frage nach dem „in Würde alt werden“ der ehemals wilden,
oppositionellen Cantautori bewegt. Inzwischen sind
einige leider nicht alt geworden, sondern gestorben, aber die „Würde“ ist ein
gesellschaftliches Thema, und da sind älter gewordene Stars wohl nicht das
Problem. Worum es mir damals gegangen ist, war die Frage dahinter: die Frage,
ob es jemals eine gesellschaftsverändernde Jugendkultur gegeben hat bzw.
überhaupt geben kann, oder ob das jugendliche Anderssein nichts Anderes ist als ein Phase der
Adoleszenz. Dabei sind Sätze wie „Nichts als gegeben annehmen, nicht dorthin
‚reisen‘, wo schon alles organisiert ist“ – Paolo
Conte hat das gesagt – möglicherweise nichts als allgemeine Anregungen zur
Selbständigkeit.
War
das ein individualistisches Rezept der Cantautori,
die dann aber – Gunst der Stunde – massenhaft Stadien füllende Anhänger*innen
gefunden haben? Individualismus als Massenbewegung, der in den egoistischen
Berlusconi Zeiten in massenhaften Individualismus von Verführten mündete, die
alles verdreht haben, was davor eine in unterschiedliche Klein- und Großgruppen
zersplitterte Arbeiter- oder doch eher Protestbewegung versucht hatte.
Berlusconi
und die Verrückung Italiens
Die
Zeiten, in denen die Stadien von Cantautori mit
politischen Inhalten gefüllt wurden, scheinen vorbei, von Lucio Dallas und
Francesco de Gregoris „Banana Republic“
Tour sind nur mehr „Bananen“ Rufe rassistischer Fans für aus Afrika kommende
Spitzenfußballer übriggeblieben.
Das
„Genova per noi“, der jugendliche Überschwang, den
auch Paolo Conte besungen hat, ist im besten Fall einem vorsichtigen
Individualismus gewichen. Über „Verrat“ zu sprechen, wäre ein zu großes Wort,
wenn es um die Seitenwechsler*innen geht oder um Egomanen, denen nichts anderes
einfällt als sie selbst. Es ließe sich zurückdenken zu Claudio Lollis Lied „Un uomo in crisi“, der nicht auffallen will, zu Boden blickt,
froh ist über freundschaftliche Annäherung. Sind das die alten Bedürfnisse der
Menschen, die nur durch oberflächliche Lautstärke storniert scheinen, wie sie
z.B. von Marcello Mastroianni in so vielen italienischen Filmen gefeiert
wurden? Schöner Schein, Oberflächlichkeit vs. gebrochenes Innenleben,
Erinnerungen an viele Träume, ist es das, was in „Sotto
le stelle del Jazz“ passiert?
Wo ist eigentlich Italien?
In Südtirol oder Kalabrien, im Friaul oder im Aostatal? Dort wo die organisierte Kriminalität
offensichtlich ist oder dort, wo sie versteckt auftritt, am Strand, am Berg
oder mitten im Meer. Heilige, die man um Unterstützung bitten kann, brauchen
Seefahrer genauso wie Bauern oder Gebirgsbewohner. Die Zitronen blühen am
Gardasee, in Sorrent und in Sizilien und Limoncello Likör wir inzwischen schon
in Südtirol produziert…
Vielleicht ist ja Italien
besonders es selbst, wo gesungen wird. In der Kirche, am Fußballplatz, bei
Festen. Die Cantautori griffen alte Traditionen auf –
wie zum Beispiel Pino Daniele mit dem napoletanischen Dialekt oder auch Teresa de Sio. Sie hat neue alte Volkslieder gesungen, bevor sie mit
Brian Eno oder Stewart Copeland zusammenarbeitete
Auch wenn sich alles ändern muss, damit alles
gleichbleiben kann, wie wir von Tomasi de Lampedusa in „Der
Leopard“ gelernt haben, es ist schon sehr seltsam, wenn die Wege der Menschen
mit dem Altern immer wieder einmal z.B. in andere politische Richtungen gehen
als früher. Von ganz links nach weit rechts ist in Italien keine Seltenheit,
schon Mussolini beschrieb einen ähnlichen Weg, und der sich selbst als
bürgerlich beschreibende Claudio Magris beobachtet die Wege mancher
Altersgenossen perplex.
Antonio Gramsci hat von dem Kampf um die
„Kulturelle Hegemonie“ geschrieben, die glaubten in den 1970er die Linken
erreicht zu haben, aber Berlusconi zeigte, dass dies ein Irrtum war. Eine neue konsumistische Hegemonie ohne ideologische oder moralische
Grundlagen gewann. Von den Liedermachern stets kritisiert gewann eine Ideologie
nach dem Motto „Was für mich gut ist, ist für die Gesellschaft gut“ die
Oberhand.
Dem
Überschwang eines jugendlichen Publikums hat sich Paolo Conte entzogen, indem
er erst spät selbst öffentlich zu singen begann, zunächst ließ er andere vor,
so konnte Adriano Celentano zuerst in „Azzurro“ singen, dass „der Zug der
Sehnsucht in die Gegenrichtung fährt“, womit wir schon wieder bei der
Italo-Dialektik sind. „Das Gegenteil ist wahr“. Aber was ist das, die
Gegenrichtung: Rechtsextremismus statt roter Brigaden, Gemeinsamkeit statt
Eigennutz, Clan statt Staat, Literatur statt Propaganda? Und wann gilt welches
Gegenteil? Möglicherweise gilt alles gleichzeitig: Schrecken und Neugierde,
Euphorie und Trauer, lachen und weinen.
Diego
Maradona und Pino Daniele, beide sind tot. Und es hat sich gezeigt, dass ein
Fußballstadion ein guter Ort zum Abschied nehmen sein kann. Alle haben sie
mitgesungen, im Stadio San Paolo, das inzwischen nach Maradona benannt ist, und
viele sagen, sie hätten geweint an diesem 11. Jänner des Jahres 2015. Wegen
Pino, der „Stimme eines Volkes, der Seele einer Stadt“.
Und
wohl auch weil es so schön ist gemeinsam singen zu können, und einen Augenblick
die Zeit anhalten zu können mit der Aufforderung an den Gestorbenen, er möge
jenseits der Zeiten von Neapel erzählen.
Aranciata,
Marina, erste Reisen.
Geschlechtertürme
und Stadtindianer.