Weite Fahrten, schlimme Träume
1969 hatte eine
orange Fulvia Zagato die Startnummer 61 beim Coupe des Alpes, der französischen
Alpenrallye. Inzwischen wurde aus dieser Langstreckenrallye eine
Gleichmäßigkeitsfahrt. Meine Fulvia schiene dafür durchaus geeignet,
schließlich soll sie als über 50-Jährige keinen lange andauernden Vollgasqualen
ausgesetzt werden.
Und dann kommt
noch die persönliche Frage, ob nicht 10 Jahre auf Rennstrecken im Kreis zu
fahren genug seien. Und es nicht Zeit wäre, das Fahren etwas gemütlicher
anzulegen. Viele werden sagen, jedes Jahr sei zu viel, aber so ist es eben mit
dem Nachholen von Kinderträumen: es kann passieren, dass sie ein halbes
Jahrhundert später aus der Zeit gefallen scheinen und für viele nicht
nachvollziehbar sind.
Albtraum Schraubengewitter
Allerdings passt
mein heutiger Traum dazu: ich stand in einem Gewitter von 5mm
Linsen-Senkkopfschrauben mit Kreuzschlitz. Richtiggehend bombardiert wurde ich.
Die Arme zum Schutz über den Kopf gehalten, wie bei einem Hagelschauer. Die
Treffer, es muss wohl welche gegeben haben, spürte ich nicht.
Die Sitzlehnen
bei Fulvia sind mit solchen Schrauben montiert. Und in den letzten fünf
Jahrzehnten wurden sie schon einigermaßen malträtiert. Deshalb hat sich Walter
bemüht, neue zu bekommen, und er hat Immerhin fast identische gefunden. Das
dahinerliegende Problem ist zwar nicht so schlimm wie ein Schraubengewitter
unter freiem Himmel, aber für einen kleinen realen Albtraum reicht es: aus
bisher unerfindlichen Gründen neigen die beiden Fulvia-Vordersitze dazu,
während der Fahrt nach hinten zu klappen. Sie wurden schon zerlegt, kurz
überprüft, aber es wurde kein Fehler gefunden. Wir haben jetzt einmal eine
improvisierte Fixierung eingebaut, damit diese Überraschungen nicht mehr
passieren.
Wenn Freund E.
einen alten Jaguar zerlegt, sammelt er jede einzelne Schraube, reinigt sie und
hebt sie auf für weitere Verwendung. Die Originalschrauben sind einfach besser,
sagt er. Ob ich wohl noch Originalschrauben für die Lancia Sitzbefestigung
finde, die nicht misshandelt wurden? Aber ich bin ja relativ bescheiden und
finde, dass es am wichtigsten wäre, dass die Sitzlehne nicht plötzlich nach
hinten klappt und ich mich nur mehr am Lenkrad anhalten kann.
Außerirdisch/überirdisch
Wenn man etwas
nicht versteht, dann könnte man ja dazu neigen, von rationalen Erklärungen
wegzudriften und an Übernatürliches zu glauben beginnen: die Welt ist ja nach
Meinung unserer Altvorderen schon immer von Göttern und Geistern geschaffen und
bewohnt worden, Gespenstergeschichten lassen uns erschauern, verschiedenste
Religionen erfreuen sich unterschiedlichster Beliebtheit. In Island werden z.B.
Kenner der Geistwesen – immerhin sollen 60 Prozent der Isländer*innen von ihrer
Existenz überzeugt sein – sogar für Bauvorhaben zu Rate gezogen. Man sollte die
Lebensräume der immateriellen Wesen nicht zu sehr einschränken, schließlich
sind – wenn es sie denn tatsächlich geben sollte – nicht nur gutmeinende Elfen
unterwegs, sondern auch spöttische Alben und gemeine Trolle.
Ich fuhr einmal
einen ziemlich gebrauchten tirolergrünen Saab 96, der wurde in Trollhättan,
Schweden, gebaut, muss also ab Geburt bzw. Erstkonstruktion mit Trollen
durchaus auf du und du gewesen sein. Er hätte sich ja eine Restaurierung
verdient, aber ich habe ihn entnervt nach verschiedenen Unperfektheiten, er warf
zum Beispiel am Gürtel in Wien einmal völlig überraschend ein Rad ab, um den
Wert eines Talbot Außenspiegels und einer neuen Batterie verkauft. Der Verbleib
des Autos ist mir nicht bekannt, aber ich leide manchmal unter Anfällen von
Saab 96 Nostalgie. Habe zum Beispiel gerade ein Inserat für einen hellblauen
gesehen und wollte ja schon immer ein hellblaues Auto… Mein tirolergrünes
Exemplar, fürchte ich, ging als Scheidungswaise unter, die Trolle dürften über
die Elfen gesiegt haben.
Alberich, er
ist ja gleichermaßen König freundlicher wie boshafter Elfen, Alben und Trolle,
dürfte ähnlich viel Gefolge haben, wie die verschiedensten Götter und Göttinnen
in unterschiedlichen Kulturen, die eine sehr diverse Gefolgschaft von Engeln,
Teufeln und anderen Geistwesen um sich scharen.
Ist der Troll schuld?
Trolle erobern
digitale Welten , kulturell appropriative Menschen haben diesen Namen aus der
Mythologie ins allgegenwärtige Netz geholt, um anonym ihr Unwesen treiben zu
können. Wer weiß allerdings, ob Menschen, die unter dem
„Online-Enthemmungseffekt“ leiden, nicht von den ehemals analogen Geistwegen zu
ihrem destruktiven Werk angeregt werden. Online Disinhibition Effect ist der
Fachausdruck für den Verlust Selbstbeherrschung in der schriftlichen
Kommunikation im Internet. Ob da auch die Naturgeister schuld sind?
Ganz abhold bin
ich dem Abwälzen von eigenen Fehlern auf zaubernden Geistwesen allerdings auch
nicht, manchmal glaube ich, dass es ja nicht immer eigene Fehler sein müssen,
die einen quälen: wenn man zum Beispiel gerade aus dem Auto austeigen will,
angerufen wird, den Schlüssel vermeintlich auf den Nebensitz legt und ihn dann
nicht mehr findet.
Runtergefallen?
Auf den ersten Blick nichts zu sehen. Verkleidungen zerlegt, Mechaniker
angerufen und nach geheimen Ecken im Auto gefragt - kein Ergebnis.
Dann: dem
Parkplatznachbarn das Missgeschick geschildert. Der offenbar keinen Troll
Fürchtende kommt mit mir, macht die Autotür auf und hält mir den Schlüsselbund
entgegen: er fand ihn in der Armlehne der Fahrertüre.
Oder: Ich
fischte einem Freund kurz vor seiner geplanten Abfahrt seinen Schlüsselbund aus
einem Müllkübel, war er da selbst der Troll als er ihn mit dem Mist entsorgt
hatte, und ich von Elfen inspiriert?
Alpen statt Alben
Zum Glück
wendeten sich die Rechtschreibspezialist*innen wieder den Albträumen zu,
nachdem sie jahrelang verlangt hatten, diese Träume den Alpen zuzuschreiben
statt den germanisch, skandinavischen Geistwesen, die sich einem nächtens auf
die Brust setzen und Beklemmungen verursachen. Nightmare sagen die Engländer
zum Albtraum, und lassen den Nachtmahr noch als kompletter Begriff vorhanden
Wenn schon von
A wie Alben und von Z wie Zagato die Rede ist: 1965 gewann Rene Trautmann mit
einer Lancia Flavia Zagato die Coupe des Alpes nachdem er 1964 noch ausgefallen
war.
1954 hat
übrigens der Österreicher Wolfgang Denzel mit seinem selbst entwickelten
Sportwagen die Rallye gewonnen, die in ihren besten Zeiten über 4000 km geführt
hat. 1957 wurde sie wegen Benzinmangels, hervorgerufen durch die Suez Krise,
abgesagt.
Der wildeste der wilden Kerle
Albträume
hatten wohl auch die Fahrerinnen und Fahrer bei der Langstreckenrallye
Lüttich-Sofia-Lüttich bzw. Lüttich-Rom-Lüttich: 5000km Nonstop im normalen
Straßenverkehr mit Zeitvorgaben. Es waren seltsame Herausforderungen, denen
sich die Teilnehmer*innen ausgesetzt haben. Wenn das wirklich „heroische
Zeiten“ im Motorsport waren, dann wohl eher im Sinn von Abenteuer – auf
zugegeben viel leereren Straßen als heute. Mercedes, Lancia, Saab, DAF und viele
andere sind mitgefahren, und am Ende wurde die Veranstaltung auf den
Nürburgring verlegt.
Wohl
prominentester Lancia Fulvia Fahrer war da zweifellos Stirling Moss gemeinsam
mit Claudio Maglioli und Innes Ireland im Jahr 1968. Die bessere Platzierung,
den dritten Platz erreichten allerdings Harry Källström, Sandro Munari und Raffaele Pinto.
Fulvia und Saab,
beide waren besonders als Rallyeautos erfolgreich. Und der wildeste aller
wilden Saab Kerle war Erik Carlsson, der Schwager von Stirling Moss, dem
schnellsten aller Mille Miglia Fahrer.
Eric Carlsson[1] , ebenfalls in Trollhättan
geboren, wie die Autos, die er fuhr, war mit einer der erfolgreichsten
Rallyefahrerinnen aller Zeiten, Pat Moss verheiratet.
Sie fuhr in ihrer
Karriere unterschiedlichste Autos, Saab und Fulvia waren dabei, den Gesamtsieg
bei der Rallye Lüttich-Rom-Lüttich schaffte sie 1960 in einem Austin-Healey 3000.
Ihr Mann[2] blieb mit
Trollhättan und Saab sehr verbunden: Beim Coupe des Alpes 1966 fiel der
berühmte „Carlsson on the Roof“ - die Nähe zu Astrid Lindgrens Kinderbuch kommt
von seinen häufigen Überschlägen - fiel er allerdings wegen eines Defekts an
seinem Saab Sonett mit Dreizylinder Zweitaktmotor nach hervorragender Fahrt
aus. Er hätte wohl statt der Trolle aus seiner Heimatstadt lieber die Feen
mitnehmen sollen, die ihn bei seinen Überschlägen so zuverlässig beschützt
hatten.