rainer rosenberg

 

 

Hauptsache es rollt

 

 

 

Und plötzlich taucht eine Schrift auf…

Ein Bild, das Gras, draußen enthält.

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Habe ein bisschen weitergemacht bei meiner Fahrradarchäologie: die Anbauteile am Rahmen sind ja schon entfernt – bleibt der vor etwa einem halben Jahrhundert draufgepinselte schwarze Lack: ich habe mich erkundigt: der Eisstrahler rät von seiner Art der Lackentfernung ab, Sandstrahlen sei auch nicht die Methode der Wahl, also beginne ich vorsichtig zu schleifen. Was schon jenseits aller Erinnerung war, taucht auf: weiße Streifen, der historische Schriftzug fast als Schattenriss, sonst die Farbe hellblau, darunter dunkelroter Rostschutz.

Ein Bild, das aus Holz, Holz enthält.

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Noch habe ich keine Ahnung, wieso die Fahrradproduktionsfirma “Torpado“ heißt. Bei Fichtel und Sachs hieß die Dreigang-Innenschaltung „Torpedo“ - also nach einer Waffenart aus dem U-Boot-Krieg, aber Torpado? Für „pado“ hätte ich eine Idee: Die Firma wurde 1895 in „Pado“va gegründet, aber wo kommt bloß das „Tor“ her… 1950 gab es ein Werksteam beim Giro, Columbus und Reynoldsrohre wurden verbaut, lese ich - und dann finde ich einen weiteren Link: da gibt es eine Beschreibung, wie die Rahmen behandelt wurden, zuerst Rostschutzfarbe, dann ins hellblaue Tauchbad und dann in den Einbrennofen. Da wird normalerweise mit Temperaturen bis 120 Grad gearbeitet, lerne ich woanders, die Verbindung mit dem darunterliegenden Material wird dadurch besser. Die Gewinde wurden händisch geschnitten, die Lackierung von Hand perfektioniert… und so ein Rad stand jahrelang im Keller eines Gasthauses am Spittelberg bis es mir der Besitzer quasi als Kellerfund geschenkt hatte. Abgeschlagen, mit kaputten Felgen, Reifen und Sattel. Ja dann wurde es überpinselt, viel benützt, verborgt, im Regen vergessen. Und jetzt eben zerlegt. Und immer, wenn einmal Zeit ist, wird ein wenig weiterbearbeitet. Immerhin habe ich schon eine Idee, wen ich wegen einer Neu-Lackierung fragen könnte.

 

Der Gründer hieß Carlo

Woher kommt also das „Tor“ – ein Angebot für einen historischen Katalog macht es klar: Carlo Torresini war der Gründer der Firma – aus Torresini-Padova wurde „Torpado“. In den 1950er und 60er Jahren war das Torpado-Team im italienischen Spitzenfeld: Aldo Moser der älteste Bruder von Weltmeister, Giro-Sieger und Stundenweltrekordler, dem 17 Jahre jüngeren Francesco Moser, war einer der erfolgreichsten Fahrer des Torpado Teams. 1934 geboren, starb er 2020 an Covid.

Und nun steht ein gebrauchtes Francesco Moser Rad in schwarz (Originallack) mit weißen Schriften gemeinsam mit dem ein wenig abgeschliffenen Torpado Rahmen in demselben Stadel. Das nach wie vor fahrbereite Francesco Moser Rad war einmal günstig am Neusiedlersee zu erwerben... Es war dies der Tag an dem einmal zwei Tagestouristen ein Tandem ausgeborgt hatten, die Wege und Straßen rund um den See lockten, und als dann zwei trainierende Rennradfahrer kamen, musste natürlich in die Tandem Pedale getreten werden. Es ging ganz schön dahin, und am Rückweg nach Wien lag das Moser Rennrad im Kofferraum. Mit einem Rahmen aus Columbus Rohren, Campagnolo teilen und durch die Jahre rissig gewordenen Aufklebern: Campione del Mondo San Cristobal. In Venezuela liegt diese Stadt, Weltmeister wurde er da 1977.

Welche Rohre für den meinen Torpado Rahmen verwendet wurden weiß ich nicht, habe noch nie ein Columbus oder Reynolds Etikette gesehen - mit der Hand getragen, wirkt der Rahmen jedenfalls ziemlich leicht, so als müsste man nur halbwegs gute Komponenten montieren und hätte ein ziemlich bewegliches Rad. In der Bauzeit wurden noch mehr Stahlteile verwendet als später. Stronglight Tretkurbeln zum Beispiel – stark und leicht, derzeit allerdings mit kleinen Rostflecken. Aber bitte, das Rad ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt, da darf doch schon etwas Rost zu finden sein.

Ein Bild, das drinnen, Maschine, silbern enthält.

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Radrennfahrer, die damals besonders auf Sicherheit achteten, trugen übrigens Sturzkappen oder auch Sturzringe, die aus gepolsterten Riemen zusammengesetzt waren, leicht und luftdurchlässig. Eddie Merckx hatte noch so einen Kopfschutz oder Felice Gimondi. Unlängst schrieb Armin Thurnherr in seinen Fahrradnotizen über die Aufrüstung im Straßenverkehr.

 

„Die Welt ist alles, was der Unfall ist“

Bewegung, die schneller ist, als dass sie die Betroffenen kontrollieren könnten, kann zu Unfällen führen. Das Baby fällt, wenn es gehen lernt, Dreirad-Fahrende knallen irgendwo gegen eine Wand, junge Fahrrad Fahrende stürzen, schürfen sich Ellbogen und Knie auf und weinen. Un-Fall beginnt früh und die Gefahr endet nicht einmal, wenn mensch nur mehr mit dem Rollator geht. Und je sicherer sich jemand fühlt, desto größer scheint die Gefahr, weder die eigene Bewegungshilfe noch den Umgang, mit den anderen im Griff zu haben.

Auch entdrosselte E-Bikes, schwere Reifen, mächtige Sturzhelme können an eine Ausrüstung für die Auseinandersetzungen im Alltag erinnern.

 

Freiheit vs. Sicherheit

Kinder werden durch die bestehenden Vorschriften gezwungen, Fahrradfahren nicht zuerst als große Freiheit zu erleben, sondern als „gefährlich“ zu betrachten. Sie müssen Helm tragen, weil sie auf den Kopf fallen könnten. Als jugendlicher Mopedfahrer habe ich selbst mit dem Helm die Härte eine Kofferraumdeckels getestet, habe beim Großglockner Bergabfahren einen Riemchenhelm getragen. Mein Problem: ich bin Freiheitsanhänger und Helmbefürworter. Aber nicht immer. Wir wissen ja ganz allgemein, dass Freiheit und Sicherheit oft ein gegensätzliches Paar sind. Unlängst las ich vom „Preis der Anarchie“. Kurz zusammengefasst beschreibt dieser Begriff aus der Spieltheorie, was es für alle kosten würde, wenn alle so entschieden, wie sie glauben, dass es für sie selbst am besten wäre. Im Kern geht es um das Verhältnis einer einzelnen Person zu allen anderen. Im Fahrradbeispiel ließe sich etwa fragen, fährt jemand besser und sicherer Fahrrad, wenn er oder sie sich frei und glücklich fühlt. Und zusätzlich: wie wäre dieses Gefühl zu bewerten.

Armin Thurnher schreibt in seinen täglichen Notizen: „…ich verzage: sieht denn niemand die Militarisierung, die Hummerisierung auch bei Fahrrädern, mit ihren breiten Angeberstollen, die entschlossenen Gesichter unter den Helmen, die zur Schau gestellten Muskeln, das angeberische Tempo? Krieg auf dem Fahrradstreifen, der mag notwendig sein bei der Durchsetzung gegen noch schlimmere toxische Autofahrer. Aber er scheint mir doch dem Wesen des Fahrrads zu widersprechen.“

Ich bin viel mit Fahrrädern gefahren, auf Landstraßen, Bergstraßen im Stadtverkehr. Meistens war ich mit einem Rennrad unterwegs. Vor mehr als 40 Jahren habe ich mir für die Abfahrt vom Großglockner einen Riemchenhelm gekauft, vor 10 Jahren einen Plastikhelm. Beide habe ich, wenn ich mich richtig erinnere, bis jetzt nur einmal getragen.

Inzwischen glaube ich fast, ich repariere lieber Fahrräder als damit zu fahren, auch bei mir kommt Wehmut auf, meine anarchistische Seele fragt doch auch nach Sicherheit.

Unlängst bin ich beim Rasenmähen mit dem Kopf in vollem Mähschritt-Tempo gegen einen Kirschbaumast ja was –gefahren, gegangen, gerast? Jedenfalls hätte ich besser einen Fahrradsturzhelm aufgehabt, die Kappe aus Stoff hat mich nicht ausreichend geschützt. Ich bin umgefallen, habe dann doch weitergemäht. Beim Autorennen die Woche danach habe ich es genossen, in meinem kleinen Rennwagen ohne Helm im Schritttempo von der Box zur technischen Abnahme im parc fermé und wieder zurückzufahren. Das gefiel mir fast besser als das Rennen.

 

Zum Glück heißt mein Fahrrad Torpado und nicht Torpedo wie die deutsche Dreigangschaltung. Es erinnert mich nicht an den U-Boot Krieg sondern an das schöne Padua, an den großen Platz mit der historischen Markthalle, an die jährliche Oldtimermesse, bei der ich noch nie war. Ein angetriebenes Geschoss für den Seekrieg, das mag ich gar nicht als Assoziation für das Fahrrad-Fahren, aber eine schöne oberitalienische Stadt, Erinnerungen an „Helden“ wie Girardengo, Coppi, Bartali, Gimondi, Moser und Pantani, die gefallen mir, auch wenn die Qualen beim Fahrradfahren groß sein können, die Rivalitäten legendär, ein Hauch von Freiheit scheint immer dabei.

Ein Bild, das aus Holz, draußen, Holz enthält.

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Ich glaube, dass ich aufhöre Fahrrad zu fahren, sollte einmal eine allgemeine Helmpflicht für Fahrrad Fahrende beschlossen werden.

 

Unscharfe Bilder, alte Geschichten.

Lachen und Weinen.

20.4.2022