Tankstellenblues
Schätzung
1: eine Million Kilometer. Führt zu Schätzung zwei: 3 333 mal
tanken.
Gewissheit:
50 Jahre Auto fahren, 2 Jahre Moped. Die exklusiven Fahrrad Jahre zählen in
diesem Zusammenhang nicht und über den Abgas-Ausstoß soll in diesem
Zusammenhang nicht die Rede sein. Nur so viel: die kalifornischen Abgasnormen
waren sehr oft Vorreiter in Sachen Ökologie-Gesetzgebung, auch wenn gerade dort
großvolumige Autos Standard waren.
Bruce
Springsteen singt viel über New Jersey, würde ich über Tankstellen singen, dann
wohl über eine bei Big Sur in Kalifornien. In einer
entrischen Idylle. Du fährst durch die Nacht und wartest auf die Tankstelle.
Die erste ist geschlossen, die zweite genauso und du sehnst Dich nach „Open
all night“. So etwa wie
Bruce Springsteen singt.
Dabei
war ich gar nicht so oft in den USA, aber Highway 1 von San Francisco in den
Süden hat mich schwer beeindruckt. Mustang Cabrio geliehen und losgefahren:
rechts der Pazifik, links Wald. Und dann die Tankstellenerinnerung: rechts von
der Straße, auf einer kleinen Anhöhe, Wald. Ein kleiner Imbiss dabei. Ich weiß
nicht mehr war es Texaco – mit dem Stern, oder Shell – mit der Muschel. So
ähnlich musste es hierschon zu Henry Millers Zeiten ausgesehen haben. Jens Rosteck schreibt in seinem Buch über Big Sur: „Wie sich die Big-Sur-Anwohner
von den 1940er Jahren bis in die Dekaden nach dem Jahrtausendwechsel um
möglichst weitreichenden Schutz von Küste und Hinterland bemühten, das besaß
Vorbildcharakter. Das Aufstellen von großflächigen Werbetafeln, das Aufhängen v
on grellbunten Postern an Hauswänden und die Installation von störenden
Hinweisschildern an Kurven oder längs der Fahrbahn waren auf der gesamten
Highway-Strecke von Anfang an untersagt – bis heute. Tankstellen sind
Mangelware, öffentliche Toiletten kaum auffindbar, Motel- oder Fastfoodketten
dürfen sich hier nirgends ansiedeln.“
Tankstellen sind Mangelware
Wenn
Jackson
Browne “running on empty”
singt, wird der leere Tank zum Symbol. Wie oft bin ich mit leerem Tank stehen
geblieben. Anschieben lassen am tiefsten Punkt der Unterführung, wie erst vor
kurzem, der Tankstellenmangel früher am Sonntag in Italien. Geöffnet nur auf
der Autostrada.
Dabei
waren ja die Tankstellen des italienischen Konzerns
nicht nur als Orte einer technischen Notwendigkeit gedacht, sondern auch als
Ort, der die Modernisierung der Gesellschaft auch auf
kommunikativer Ebene versuchte. Die Tankstelle mit dem feuerspeienden Hund mit
sechs Beinen als Treffpunkt nicht nur für Autobesitzende.
In
Italien wurden Brücken als Autobahnspuren übergreifende Restaurants
gebaut, mit angeschlossenen Tankstellen, in den USA war die Tankstelle so
scheint es, wenn man die Popkultur betrachtet ein Zufluchtsort für höchst
unterschiedliche Typen, in Österreich war die Raststätte an der Tankstelle
höchst unterschiedlich. In Melk an der Donau z.B. gab
es in meiner Kindheit neben der Musikbox noch einen Flipper, in der Nähe von
Korneuburg gab es eine Tankstelle mit Windmühle und Rasthaus. Das
Rasthaus ist inzwischen ein Stück ambivalenter österreichischer Kultur- und
Architekturgeschichte.
Der
Architekt der UNO City Johann Staber hatte die Kurvenbar in Leobendorf bei
Korneuburg in den späten 1950er Jahren geplant… inklusive Tankstelle versteht
sich. In der Kurvenbar werden noch immer Speisen angeboten, als Kind hat mich
besonders die Windmühle fasziniert… Das Ambivalente war, dass Johann Staber
sein größter Erfolg irgendwie ins Unglück geführt hat.
Er wollte sein Büro groß lassen wie für den Bau der Uno City, es gab aber keine
zweite zu bauen.
Die Drehscheibe
Später
war es die Tankstelle schräg hinter dem Wiener Rathaus,
die mich fasziniert hat, Man fuhr auf eine Drehbühne in einer Art Garage im
Erdgeschoss eines Wohnhauses, der Tankwart drehte das Auto auf dieser drehenden
Scheibe um, es wurde vollgetankt, gezahlt, gegrüßt, ein bisschen über die Welt
gesprochen und – weitergefahren.
Es
ist eine der Zahlreichen Tankstellen in der Stadt die geschlossen wurden: so
wie die beim Belvedere, beim Burgtheater, überall war zu wenig Platz um daraus einen Supermarkt zu machen.
Und
dann kam die Selbstbedienung. Die Frage des Tankwarts „Luft, Öl, Wasser?“ war
nicht mehr zu hören und inzwischen bin ich froh, wenn ich die Zahlungsautomaten
bedienen kann, damit ich weiterfahren kann. Die Automaten sind mittlerweile
bedienungsfreundlicher geworden und ich muss fast nie mehr unverrichteter Dinge
die nächste Tankstelle suchen. Allerdings wird da im Vorhinein die
Zahlungsfähigkeit geprüft und den „Kreditrahmen“ für das Tanken kann man sich
inzwischen meist selbst aussuchen. Früher hat man einmal getankt. Wenn dann zu
wenig Geld in der Tasche war, war die Peinlichkeit komplett. Und wenn man
verzweifelt den Weg zum nächsten Bankomat antreten
wollte, brauchte es ein Pfand. Die Uhr oder doch den Führerschein? Die Dame an
der Kasse nahm den Führerschein, machte eine Lade auf und man sah, dass sich
das wertvolle Dokument in Gesellschaft vieler anderer rosa Ausweise befand.
Also auf zum Bankomaten.
Mineralwasser statt Motoröl
Inzwischen
bekommt man ja an einer Tankstelle viel mehr
verschiedene Arten von Mineralwässern als das passende Motoröl,
Lebensmittelketten machen gemeinsame Sache mit Mineralölkonzernen, und das
Wirtshaussterben am Land macht Tankstellen wieder zum Treffpunkt. Bis zum
Rauchverbot in Lokalen war die Luft dort oft dicker als im stärksten Stau,
inzwischen gibt es zwischen Tankstelle und Kaserne eine Bar, die vielgelobte
Burger macht, ein paar Kilometer hat sich eine „Tankstö“
etabliert – Tanken, Autowaschen den eigenen Durst löschen.
Wie
gesagt vielerorts sterben die Wirtshäuser und die Tankstelle übernimmt
Aufgaben, die mit dem Fahrzeugverkehr nur am Rande zu tun haben. Die
angeschlossene Werkstätte wird auch immer seltener als Ort der Rettung bei
einem versagenden Fahrzeug…
„In
ganz wenigen Jahren“ sagte Ellen Lysaker, „wird es
nur noch einen Grund dafür geben, Benzin zu verkaufen, und das ist die
Tatsache, dass wir dadurch die Kunden in unsere Geschäfte bekommen.“
Erik
erschauderte.
“Es
liegt auf der Hand“ fuhr Oybo fort, „dass viele der
heutigen Tankstellen einen falschen Schwerpunkt setzen und veraltete Konzepte
und Lösungen anbieten. Denken wir nur an Ölwechsel, Zündkerzen und so etwas.
Ein normales Auto hat Serviceintervalle von 25 000 Kilometern und viele haben
nur dann einen Garantieanspruch, wenn alles in einer Vertragswerkstatt erledigt
wird.“
Erik,
das ist der Held in Lars Myttings Roman „Fyksens Tankstelle“.
Diese
Tankstelle ist eine in der repariert wird, Ersatzteile gesammelt werden, Zoll jund Millimeter Schraubenschlüssel vorhanden sind.
Früher,
beim regelmäßigen Abschmieren der Schmiernippel an Radaufhängungen oder
Antriebswellengelenken war nur die Frage, ob das Auto auf die Grube oder die
Hebebühne gelenkt wird, beim Ölwechsel die Frage absaugen oder bei der Ölwanne
ablassen. Und vom Ölfilterwechsel zu einer kleinen Reparatur ist der Weg nicht
weit, Tankwart und Mechaniker konnten ein und dieselbe Person sein. So
funktioniert auch diese Technikromantik in amerikanischen Filmen oder im vorher
zitierten Buch von Lars Mytting aus Norwegen, aus der
Nähe von Lillehammer. Womit sich übrigens zufällig ein
Kreis schließt: Lilyhammer hieß die Fernsehserie, in
der Steven van Zandt, der Gitarrist der E-Street Band Bruce Springsteens die
Hauptrolle spielte… im Rahmen eines Zeugenschutzprogrammes wünschte sich der
Mafioso ausgerechnet nach Lillehammer, weil er einmal eine Übertragung der dort
stattgefundenen olympischen Winterspiele gesehen hatte. Womit wir wieder bei
Springsteen und fahren und tanken zurücksind.
Der
Held von Fyksens Tankstelle träumt
übrigens von einem Facel Vega Coupe,
inzwischen unbezahlbar ist im Roman einer am Schrottplatz zu finden…
Großvolumig,
ein Benzinfresser, logisch Traum eines Tankstellenbesitzers, der lieber Benzin
verkauft und Autos repariert als Schokoriegel zu verkaufen, Cola und ein Packerl Milch, wenn man spontan noch am Wochenende einen
Pudding machen will.
Die Rettung
Am
Schluss aber zurück zur Schätzung: ohne eine gewisse Tankstelle wäre ich
möglicherweise keine Million Kilometer alt geworden. Bei 50 000 schon hat sie
mich gerettet.
Ein
Schneepflug hatte mich mit meinem Kleinwagen daherkommenden übersehen, stand
quer auf der Schneefahrbahn, der Aufprall schien unvermeidlich. Zum Glück sah
ich die Tankstelle rechts neben der Straße. Schnell durch die Tankstelle durch,
zum Glück war nichts und niemand im Weg, und ich konnte die Fahrt zur Million
Kilometer und zu den 3333 Tankstopps fortsetzen.
Aber
das sind ja alles nur Schätzungen…
Anmerkung:
inspiriert wurde der Text von einem Beitrag für „Moment am Sonntag“ zum Thema
„Sozialort Tankstelle“ für das Radioprogramm von Ö1 am 14.11.2021 um 18h15.
Quellen:
Jens
Rosteck: Big Sur.
Geschichten einer unbezähmbaren Küste. Mare, Hamburg 2020, S. 61f
Lars
Mytting: Fyksens
Tankstelle. Deutsch von Günther Frauenlob. Piper, München 2007, S. 125
Als
Taschenbuch: Die Tankstelle am Ende des Dorfs. Insel,
Berlin 2019
Links:
Bruce
Springsteen with the Sessions Band - Open All Night (Live In
Dublin) - YouTube
Cult of autogrill - Ahead of time
(retrofutur.org)
tankstelle kurvenbar leopoldsdorf – Google Suche
Sechsundzwanzig Wiener Tankstellen und
andere Architekturen im Visier - Bonartes