Rasen und
Rollen
Ein Dilemma. Alle mähen Rasen. Und ich mähe rasend Rasen.
Nicht weil ich so schnell bin, sondern weil ich lieber Bienen, Hummeln, andere
Insekten leben lassen und damit zum Beispiel Vögeln mehr Futter lassen würde.
Aber es mähen alle alles, ab der kleinsten Wiese und – so
scheint es mir zumindest – gerade dann wenn Nachbar
und Nachbarin aufgehört haben. Ruhelos. Ich gehöre auch zu den Mähenden, nicht
gerade aus Überzeugung. Ich bremse für Schmetterlinge, weiche aus für
Grashüpfer und fahre bergan und bergab. In der Saison ungefähr alle zwei
Wochen. Schon als Kind machte ich das, der Vater wollte es so (ich glaube sogar
wöchentlich), und danach ging es rund ums Haus mit der Schere. Die nicht
erreichten Halme abschneiden und einsammeln. Und ja nicht über das Kabel des
Elektromähers fahren. Dieses Vorrecht hatte der Vater und es stellte sich als
nicht einmal halb so gefährlich heraus wie angenommen, schlimmstenfalls sprang
die Sicherung raus und das Kabel wurde mit Isolierband geflickt.
Eine
Zukunft, die nicht stattfand.
In der Zeitschrift „hobby“ gab es
damals ein Inserat für „Lawn Boy Rasenmäher“, das
mich faszinierte. Dass „Boy“ in diesem Fall nicht „Bub“ meinte, sondern
„Diener“ bedeutete, wusste ich nicht… und dass ich mehr ein halbes Jahrhundert
später das Inserat in amerikanischer Version mit genau demselben Bild im Netz
finden sollte auch nicht. Damals war dieses Inserat für mich (inklusive Haus im
Hintergrund) der Inbegriff an Modernität.
Jedenfalls saß da (in „hobby“ wie
in „Readers Digest“) ein amerikanisch aussehender Mann auf einem Anhänger, der
von einem Rasenmäher gezogen wurde. Ein Vorläufer des Rasentraktors offenbar,
und jedenfalls ein selbstfahrender Rasenmäher.
Die Außenbordbootsmotoren Firma Evinrude
hatte die Produktion der Rasenmäher in den 1930er Jahren begonnen (bald wurde
mit Johnson fusioniert), das Rasenmäher Geschäft aber wurde mit der Zeit
aufgegeben und an die Firma Toro weitergegeben. Dass
ich jetzt mit einem Toro-Mäher bergauf und bergab
fahre ist eine bemerkenswerte Fußnote. In vollkommener Unwissenheit über die
Zusammenhänge wurde der Mäher beim nächstliegenden Fachhändler erstanden (kauf‘
das US-amerikanische Produkt wenigstens lokal) und die Entscheidung fiel wegen
eines tatsächlich merkbaren mechanischen Produktvorteils: je nachdem wie stark
man anschiebt, reagiert der Radantrieb. Ohne Antrieb wären mir die Anstiege zu
mühsam, der Boden dank der hohen Maulwurfaktivitäten zu uneben. An ein Mähen,
während ich auf einem motorbetriebenen Anhänger säße, ist bei der betreffenden
Wiese in leichter Hanglage nicht zu denken. Auch rund um die Bäume täte ich mir
schwer und vielleicht bräche ich angesichts der zahlreichen Maulwurfgänge auch
ein, denn schließlich entspricht die weggeschaffte Maulwurfshügelerde ja den
gegrabenen unterirdischen Verbindungen.
Maulwürfe
und Richard Branson
Immerhin: in diesem Garten wird kein Gift verteilt,
Regenwürmer erschrecken höchstens wegen der zweiwöchigen
Rasenmäher-Erschütterungen. An der Oberfläche ist das allerdings anders:
besonders im Frühjahr muss immer wieder wegen der befreundeten Insekten notgebremst
werden, und in einigen Zonen sollen doch einige Blumen als Futterplatz und
schöner Anblick stehenbleiben, es wird nach Kompromissen gesucht zwischen
bunter Blumenwiese und ortsüblicher Rasur.
Hauptsache es rollt? Im Garten eine fragwürdige
Angelegenheit. Die Scheibtruhe (ich ziehe diesen Namen dem Begriff
„Schubkarren“ vor) finde ich ok. Und weil mit der Sense zu mähen für mich nicht
in Frage kommt, bleibt für das Rasenmähen doch nur das hin und her Rollen.
Zwischen Kindheit und Gegenwart versuchte ich auch ein Zwischenspiel mit einem
leichten elektrischen Luftkissenmäher (auch dafür stammte die Faszination von
der Lektüre von „hobby – das Magazin der Technik“).
Der Versuch war einem kleinen steilen Grundstück vorbehalten. In „hobby“ schwärmte man übrigens nicht nur von Luftkissen-Rasenmähern sondern auch von Hovercrafts, die über den
Ärmelkanal flitzten, wie von den meisten technischen Methoden, die diese Welt
zu einem angenehmeren Ort machen sollten. Die Hovercrafts über den Ärmelkanal
sind durch den Tunnelbau obsolet geworden, und „Airhockey“
z.B. auf den blauen Luftkissentischen im Prater hat sich als Spiel in frühen
Computergenerationen verloren.
„hobby“ hat sein Erscheinen
inzwischen eingestellt, auch wenn schon damals die soeben mit menschlichen
Passagieren ausprobierte unterirdische Magnetschwebebahn Richard Bransons
„Hyperloop“ vorhergesagt wurde… egal ob Farbfernsehen, die Form von Autos –
vieles wurde geahnt, bis auf die elektronische Revolution, die sollte die große
weltenverändernde Überraschung bleiben.
Autos, Flugzeuge, Bastelmöglichkeiten und natürlich
Raumfahrt, das war für mich „hobby“. Keineswegs aber
das Rasenmähen. Das war immer Pflicht, wurde immer mehr ökologisch zweifelhaft
und doch gehört es fast immer zu den Verpflichtungen, die Menschen, die im
Grünen leben zu haben glauben, da wie dort, am Dachgarten, am Stadtrand im
Dorf, in Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland, Wien und sonst wo - es
wird Rasen gemäht, Gras geschnitten, die Wiese untertan gemacht. Mit allen
ihren Lebewesen.
Allerdings: für dieses Jahr ist Schluss mit Mähen.
Captain Slow und die Schnelleren