rainer rosenberg

 

 

Hauptsache es rollt

 

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Rasen und Rollen

Ein Dilemma. Alle mähen Rasen. Und ich mähe rasend Rasen. Nicht weil ich so schnell bin, sondern weil ich lieber Bienen, Hummeln, andere Insekten leben lassen und damit zum Beispiel Vögeln mehr Futter lassen würde.

Aber es mähen alle alles, ab der kleinsten Wiese und – so scheint es mir zumindest – gerade dann wenn Nachbar und Nachbarin aufgehört haben. Ruhelos. Ich gehöre auch zu den Mähenden, nicht gerade aus Überzeugung. Ich bremse für Schmetterlinge, weiche aus für Grashüpfer und fahre bergan und bergab. In der Saison ungefähr alle zwei Wochen. Schon als Kind machte ich das, der Vater wollte es so (ich glaube sogar wöchentlich), und danach ging es rund ums Haus mit der Schere. Die nicht erreichten Halme abschneiden und einsammeln. Und ja nicht über das Kabel des Elektromähers fahren. Dieses Vorrecht hatte der Vater und es stellte sich als nicht einmal halb so gefährlich heraus wie angenommen, schlimmstenfalls sprang die Sicherung raus und das Kabel wurde mit Isolierband geflickt.

 

Eine Zukunft, die nicht stattfand.

In der Zeitschrift „hobby“ gab es damals ein Inserat für „Lawn Boy Rasenmäher“, das mich faszinierte. Dass „Boy“ in diesem Fall nicht „Bub“ meinte, sondern „Diener“ bedeutete, wusste ich nicht… und dass ich mehr ein halbes Jahrhundert später das Inserat in amerikanischer Version mit genau demselben Bild im Netz finden sollte auch nicht. Damals war dieses Inserat für mich (inklusive Haus im Hintergrund) der Inbegriff an Modernität.

Jedenfalls saß da (in „hobby“ wie in „Readers Digest“) ein amerikanisch aussehender Mann auf einem Anhänger, der von einem Rasenmäher gezogen wurde. Ein Vorläufer des Rasentraktors offenbar, und jedenfalls ein selbstfahrender Rasenmäher.

Die Außenbordbootsmotoren Firma Evinrude hatte die Produktion der Rasenmäher in den 1930er Jahren begonnen (bald wurde mit Johnson fusioniert), das Rasenmäher Geschäft aber wurde mit der Zeit aufgegeben und an die Firma Toro weitergegeben. Dass ich jetzt mit einem Toro-Mäher bergauf und bergab fahre ist eine bemerkenswerte Fußnote. In vollkommener Unwissenheit über die Zusammenhänge wurde der Mäher beim nächstliegenden Fachhändler erstanden (kauf‘ das US-amerikanische Produkt wenigstens lokal) und die Entscheidung fiel wegen eines tatsächlich merkbaren mechanischen Produktvorteils: je nachdem wie stark man anschiebt, reagiert der Radantrieb. Ohne Antrieb wären mir die Anstiege zu mühsam, der Boden dank der hohen Maulwurfaktivitäten zu uneben. An ein Mähen, während ich auf einem motorbetriebenen Anhänger säße, ist bei der betreffenden Wiese in leichter Hanglage nicht zu denken. Auch rund um die Bäume täte ich mir schwer und vielleicht bräche ich angesichts der zahlreichen Maulwurfgänge auch ein, denn schließlich entspricht die weggeschaffte Maulwurfshügelerde ja den gegrabenen unterirdischen Verbindungen.

 

Maulwürfe und Richard Branson

Immerhin: in diesem Garten wird kein Gift verteilt, Regenwürmer erschrecken höchstens wegen der zweiwöchigen Rasenmäher-Erschütterungen. An der Oberfläche ist das allerdings anders: besonders im Frühjahr muss immer wieder wegen der befreundeten Insekten notgebremst werden, und in einigen Zonen sollen doch einige Blumen als Futterplatz und schöner Anblick stehenbleiben, es wird nach Kompromissen gesucht zwischen bunter Blumenwiese und ortsüblicher Rasur.

Hauptsache es rollt? Im Garten eine fragwürdige Angelegenheit. Die Scheibtruhe (ich ziehe diesen Namen dem Begriff „Schubkarren“ vor) finde ich ok. Und weil mit der Sense zu mähen für mich nicht in Frage kommt, bleibt für das Rasenmähen doch nur das hin und her Rollen. Zwischen Kindheit und Gegenwart versuchte ich auch ein Zwischenspiel mit einem leichten elektrischen Luftkissenmäher (auch dafür stammte die Faszination von der Lektüre von „hobby – das Magazin der Technik“). Der Versuch war einem kleinen steilen Grundstück vorbehalten. In „hobby“ schwärmte man übrigens nicht nur von Luftkissen-Rasenmähern sondern auch von Hovercrafts, die über den Ärmelkanal flitzten, wie von den meisten technischen Methoden, die diese Welt zu einem angenehmeren Ort machen sollten. Die Hovercrafts über den Ärmelkanal sind durch den Tunnelbau obsolet geworden, und „Airhockey“ z.B. auf den blauen Luftkissentischen im Prater hat sich als Spiel in frühen Computergenerationen verloren.

hobby“ hat sein Erscheinen inzwischen eingestellt, auch wenn schon damals die soeben mit menschlichen Passagieren ausprobierte unterirdische Magnetschwebebahn Richard Bransons „Hyperloop“ vorhergesagt wurde… egal ob Farbfernsehen, die Form von Autos – vieles wurde geahnt, bis auf die elektronische Revolution, die sollte die große weltenverändernde Überraschung bleiben.

Autos, Flugzeuge, Bastelmöglichkeiten und natürlich Raumfahrt, das war für mich „hobby“. Keineswegs aber das Rasenmähen. Das war immer Pflicht, wurde immer mehr ökologisch zweifelhaft und doch gehört es fast immer zu den Verpflichtungen, die Menschen, die im Grünen leben zu haben glauben, da wie dort, am Dachgarten, am Stadtrand im Dorf, in Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland, Wien und sonst wo - es wird Rasen gemäht, Gras geschnitten, die Wiese untertan gemacht. Mit allen ihren Lebewesen.

Allerdings: für dieses Jahr ist Schluss mit Mähen.

Captain Slow und die Schnelleren

19.10.2020