rainer rosenberg

 

 

 

Hauptsache es rollt

 

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Captain Slow und die Schnelleren

 

„Captain Slow“ – will man so heißen, wenn man bei einem Autorennen im Kreis fährt? Einer der Schnellsten hat mir den Namen verpasst, weil ich ihm immer wieder mit einem der ältesten und halbwegs sparsamen Autos im Weg fahre. Er meinte das freundlich, aber im Gegensatz zu mir will er immer der schnellste sein und sucht deshalb immer nach einem Rennwagen, der das ermöglichen könnte. P. fährt nicht um Klassensiege, bei seinen Rennen ist „schnell“ absolut gemeint und nicht relativ – zuletzt hat er ganz am Schluss bewiesen, dass er seinen Ansprüchen genügen kann, ein wunderbares Überholmanöver machte die Sache klar. Inzwischen fahren unsere Rennautos nach Altersklassen getrennt, er ist bei den „Neuen“ (1988 bis ich weiß nicht wann) dabei, ich bei den „Alten“ (bis 1988).

M. der Veranstalter, der die Rennserie souverän auch durch stürmische Zeiten steuert, wollte völlig zurecht die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den einzelnen Rennwagenklassen verringern. Mein Alexis Formel Ford aus dem Jahr 1969 hat z.B. kaum mehr PS als das Serienauto (Ford Cortina GT), von dem sein Motor abstammt. So sollte das sein: junge Leute konnten in den 1960er, 70er und 80er Jahren vergleichsweise kostengünstig im Kreis fahren und hoffen, in eine stärkere Klasse aufzusteigen:

 

Formel Ford, Formel 3,2,1 los…

Ich will jetzt keine Namen von ehemaligen Weltmeistern nennen, die so begonnen haben, nur einen: Ayrton Senna und ja, auch Roland Ratzenberger, der war zwar nicht Weltmeister, musste aber am selben Wochenende sterben…

Ich bin mit mehr als 40 Jahren Verspätung losgefahren. Mein Auto hat es schon zwei Jahre gegeben, bevor ich den Führerschein machen konnte. Und ich frage mich oft, was denn die Faszination ausmacht, dass ich mich in dieses Auto setze, mich anschnalle und fahre. Je weniger Unterstützung ich brauche, desto lieber ist es mir. Luft kontrollieren, Benzin nachfüllen (immer dieser Ärger, weil man nicht genau sehen kann, wie viele Liter noch Platz haben in dem kleinen Tank, der aber locker für die Renndistanz von meist circa 60 Kilometern reicht). Losfahren, Motor und Reifen aufwärmen, oft werde ich von stärkeren/neueren Fahrzeugen überholt, manchmal ergeben sich Überholgelegenheiten. Ich muss mich in den Kurven mehr anstrengen, auf den Geraden geht nur etwas, wenn andere in Schwierigkeiten sind.

„Captain Slow“-mäßig eben. Und wenn dann das Auto Winterschlaf mit Sommerschlaf verwechselt und erst beim allerletzten Rennen „aufwacht“ was soll man dann sagen. Vielleicht „Gut, dass ein paar Teile gewechselt worden sind“ oder „gut, dass einem der reizende Kollege in der Box ins Hinterrad gefahren ist und nicht auf der Strecke“ und „noch besser, dass sich der Schaden relativ leicht beheben hat lassen“.

 

Bremsscheibe, Kupplung, Lager bricht, aber…

Im Großen und Ganzen also keine Sorgen, nur kleine Probleme. „Es ist halt ein Rennwagen“ sagt der wunderbare Werkstattbesitzer und selbst Rennfahrer, wenn wieder irgendetwas nicht so funktioniert, wie man sich das wünscht. Denn irgendwann geht alles kaputt, was kaputt gehen kann. „Es ist halt ein Rennwagen“. Allerdings: irgendwann könnte ja doch ein befriedigender Zustand erreicht sein, aber wenn Du durch die Boxengasse gehst, dann ist da der Ölfilter verloren gegangen, dort die Kupplung gebrochen oder die Bremsscheibe oder der Auspuff muss geschweißt werden, das Pleuel hat ein Loch im Motorblock gemacht, der Starter funktioniert nicht, der Drehzahlmesser spinnt, der Heckflügel ist gebrochen oder die Aufhängung. Oder es rinnt der Kühler, beim Lenkrad ist eine Schraube locker und und und.

Und trotzdem kommen die Fahrer und auch einige Fahrerinnen wieder zum nächsten Rennen, helfen einander mit Ersatzteilen aus, sind vielleicht einmal eifersüchtig, unterstützen aber im Zweifelsfall den engsten Konkurrenten. Sie wollen gewinnen oder vielleicht auch nur hinten nachfahren und nach ihrer Fasson glücklich sein. Beim im Kreis Auto fahren. Man denkt an nichts anderes, ist voll konzentriert und lebt im Augenblick.

„Im alten Rennwagen bleibt irgendwie die Zeit stehen. Alles ist Gegenwart, wenn auch ein wenig angejahrt“, denkt Captain Slow und gibt Gas, bremst, schaltet - und fährt weiter.

Zaungast

5.4.2020