Gentle racing
7.6.2019
Drei
Rennwochenenden hat Alexis schon hinter sich. Ein Rennauto von früher. Selbst
Laien sehen ihm an, dass er Teil eines weltweiten fahrenden Museums ist. Der
Antrag zur offiziellen Aufnahme in den Kreis der originalen Museumsstücke ist
abgeschickt und mitunter stellt sich die Frage, wie schnell man eigentlich sein
will, mit einem 50 Jahre alten Auto. Ich z.B. möchte ungefähr so schnell sein,
wie mit Alex‘ Vorgänger: 20 Jahre jünger, ganz anderes Design. Mein erstes
„richtiges“ Rennauto. Gleiche Kategorie – Formel Ford 1600, aber viele
Fortschritte in der Technik. Eine ganz andere Konzeption, Kühler an der Seite,
innenliegende Stoßdämpfer, moderner eben. Nur der Motor ist das gleiche Modell
(Der Ford Cortina hatte so einen, wenn sich jemand erinnert).
Für
mich gibt es Autos, denen weine ich nach, wenn ich sie hergegeben habe.
Manchmal früher manchmal später. Der kleine Autobianchi
war so einer, der Renault 5 nicht, die Ente nicht, der erste Alfa war nach 20
Jahren einfach am Ende und so weiter… irgendwann bin ich ja nur mit alten Autos
gefahren, bei denen die Hoffnung bestand, dass sie nicht mehr an Wert verlören
sondern sich durch Wertsteigerung die Reparaturen selbst „verdienen“. Teilweise
ist das Konzept aufgegangen, teilweise gar nicht. Jetzt, wo fast alles bewertet
wird wie Aktien, raufen sich viele die Haare, wenn sie an die Preise denken, zu
denen sie Autos verkauft haben und das vergleichen, mit den Preisen, die heute
verlangt werden. Aber die Welt der Aktien ist sowieso nicht meine. Ich fahre
lieber im Kreis und beobachte Rundenzeiten lieber als Aktienkurse. Und
besonders gerne beobachte ich sie, wenn es um „nichts“ geht.
Davon
träume ich ja schon lange, um die Wette fahren, aber ohne Eile. Natürlich
treibt der Ehrgeiz an, man möchte so gut wie möglich um die Kurven kommen, „bella figura“ machen und nach dem
Aussteigen mit den Kollegen und Kolleginnen freundlich über das Erlebte
sprechen. Gelingt nicht immer, ist aber das Ziel. Wenn alles gut geht fällt
einem dazu als Zielvorstellung der Begriff „Gentleman Racer“ ein, auch wenn
vielen dazu ganz einfach der finanzielle Hintergrund fehlt, sich ähnlich wie
früher einfach einen neuen Ferrari bei Enzo persönlich zu bestellen. Bei
manchen trifft der Begriff zu (wenn zum Beispiel mit einem Jaguar D-Type von
Rennen zu Rennen gefahren wird), andere pflegen einfach einen anderen Stil oder
ersetzen Geld höchst erfolgreich durch Leidenschaft inclusive vieler Stunden
Schrauben.
Erholung im Cockpit
„Gentleman
Racer“ oder auch „Gentleman Driver“ lässt man besser unübersetzt, vor allem im
Deutschen denn bei „Herrenfahrer“ – spielt gleich das hierarchische „Herr“ mit,
während beim „Gentleman“ ein Stil, eine Lebensauffassung beschrieben wird. Man
übersetzt ja auch das Wort „Dandy“ besser nicht, wenn man es nicht seiner
Bedeutung entkleiden will.
Gentleman
Racer also ist so etwas ähnliches wie „Künstler“ – besser sagen es die anderen
über einen als man selbst über sich. Das alte Ideal: man kommt aus einer
italienischen oder britischen adeligen Familie und kann sich das Hobby leisten.
Wie um ein historisches Beispiel zu nennen Giannino Marzotto,
Graf, einer Industriellenfamilie entstammend - er hat zweimal die Mille Miglia
gewonnen, 1953 in einem legendären Wettkampf mit Juan Manuel Fangio. Meist fuhr
er mit Krawatte, damit er im Falle eines Ausfalls gleich mit dem Zug wieder zur
Arbeit fahren konnte, und er wird auch so zitiert: „Ich wollte immer Gefahren
und Risiko, die mit dem Motorsport verbunden sind, reduzieren. Wollte zeigen,
dass Rennen als
Erholung betrieben werden können, eine nette lange Fahrt auf den italienischen
Straßen in einem starken Auto, aber nur zum Spaß“. Marzotto
widmete sich bald mehr dem Textilunternehmen als dem Rennfahren und wurde 84
Jahre alt.
Wenn man gegen Fangio gewinnen konnte, war man
allerdings zwar vielleicht Gentleman, aber von „gentle
racing“ konnte da wohl keine Rede sein. Was also soll
das Wort?
Weichen wir aus in die Szene der historischen Rennen
von heute. Feuerabweisende Overalls haben auch hier Kaschmirpullover und
Krawatte ersetzt, allerdings sehen die Fahrzeuge aus wie damals, wobei „damals“
immer auf die Zeiten zuzutreffen scheint, in denen die Fahrer jung waren.
Meistens sind die Fahrer besonders fasziniert von Rennautos, die in ihrer
Jugend neu waren. Geburtsjahr plus 15 könnte ein guter Schlüssel sein - E.
fährt gerne einen Mercedes 300 SL oder Aston Martin – passt, und ich habe jetzt
den Alexis, passt auch. M. fährt mit dem Escort im Kreis, die These scheint
bestätigt, auch wenn es viele Ausnahmen gibt. Töchter und Söhne von Fans fahren
Mustang oder Alfetta, oder die „Krankheit“ kam von
ganz woanders, man sollte den Motiven der Faszination ihre Freiheit lassen.
Die „verlorenen“
Sekunden
Rennen als Erholung betreiben“ nannte es Gentleman
Racer Marzotto, und das wäre ein idealer
Ausgangspunkt für „gentle racing“.
Wenn man noch dazu in der langsamsten Klasse fährt wie ich, wird immer jemand
vorbeiziehen. Damit alles „gentle“ bleibt, braucht
man viele Blicke in den Rückspiegel, die muss man in das Meditative des
sinnlosen Tuns einbeziehen. Die Chance auf mentale Erholung bleibt: man macht
nur eine Sache, ist konzentriert, beachtet die Bewegung im Raum, die
physikalischen Grenzen und die eigenen.
Auf das Gasgeben wird schon
nicht vergessen, sonst würde ja das zweite Wort von „gentle
racing“ wegfallen.