rainer rosenberg

 

Hauptsache, es rollt

 

 

Schande in Döbling

Oder doch nicht?

 

Ein Bild, das draußen, Person, Kleidung, Baum enthält.

KI-generierte Inhalte können fehlerhaft sein.

 

Das „rote Wien“ kann es wohl nicht gewesen sein, den „Pinken“ traue ich es auch nicht zu, den „Schwarzen“ des Bezirks auch nicht und über „Blau“ oder „Braun“ denke ich nicht nach. Vielleicht war es ja das „goldene“ Wienerherz: diesen Schluss legt jedenfalls eines meiner Telefonate nahe.

Heute in der Früh ist es mir zum ersten Mal aufgefallen, etwas Ähnliches, das der neue Bürgermeister Dornbirns persönlich abmontiert hat, wurde in einem Straßenbahn-Wartehäuschen an einem meiner häufigen Fußwege installiert: eine „Anti-Obdachlosen-Bank“, so interpretierte ich die Neuerung auf den ersten Blick: als stählerne Armlehnen verkleidete Schikanen für Menschen, die sich auf einer Sitzbank ausstrecken wollen.

Vor kurzem konnte ich eine Bank in einem Wartehäuschen derselben Straßenbahnlinie noch für einen erste Hilfe Einsatz benützen. Ein alter Mann war zusammengebrochen, bis die Rettung da war, konnte er sich windgeschützt auf der Bank hinlegen, wurde abgeholt – es ging von der Bank auf die Tragbare, alle die helfen konnten waren zwar in Sorge, aber froh, dass alles so gut funktioniert hat.

An der Station Glatzgasse einiger durch Döbling fahrender Straßenbahnlinien ist so etwas nun nicht mehr möglich.

Immer wieder sage ich meinen Studierenden, dass journalistische Geschichten in Unmengen „auf der Straße liegen“. Man müsse sie nur wahrnehmen.

Also beginne ich zu recherchieren. Erstes Ergebnis: im Internet sagt mir die KI (ohne dass ich sie gefragt hätte), dass für Fragen der Stadtmöblierung wie zum Beispiel für Sitzbänke in Wien die Bezirksvertretung zuständig sei. Ich rufe an, komme an eine sehr freundliche Beamtin, die mir erklärt, dass im Zusammenhang mit Wartehäuschen entweder die Wiener Verkehrsbetriebe oder die GEWISTA, die stadtnahe Werbefirma zuständig seien. Wäre die Bezirksvertretung involviert, würde sie das wissen, denn „an mir geht kaum etwas vorbei“, und im allgemeinen Gespräch, warum solche Barrieren installiert werden, fügt sie an: „Das ist der Menschheit geschuldet“. Ich habe den Eindruck, dass hinter dem folgenden Stoßseufzer viele dementsprechende Erfahrungen stehen und bedanke mich für das freundliche Gespräch.

 

Immer freundlich

Nächste Station GEWISTA. Im Jahr 1921 als Einrichtung der Stadt Wien gegründet, hat sich die „Gemeinde Wien – Städtische Ankündigungsunternehmung der Magistratsabteilung der Stadt Wien“ zur Vermarktung von Verkehrsmittelwerbung in mehr als 100 Jahren zu - Eigendefinition - einem der größten Medienunternehmen Österreichs und Marktführerin im „Out-of-Home-Segment“ entwickelt. Mehrheitlich gehört sie inzwischen zum Weltmarktführer JCDecaux. Sein Gründer Jean-Claude Decaux hatte übrigens die Idee, Buswartehäuschen Gemeinden gratis anzubieten und als Gegenleistung dort Plakatwerbung machen zu dürfen.

Auch bei GEWISTA werde ich äußerst freundlich informiert, allerdings werden die maßgeblichen Entscheidungen über die Möblierung der Wartehäuschen – so höre ich – von den Wiener Linien getroffen.

Im Gegensatz zu Dornbirn, wo der neue SPÖ-Bürgermeister eigenhändig die trennenden Holzkeile entfernen konnte, müsste in der Station Glatzgasse mindestens jemand mit einer Trennscheibe vulgo „Flex“ kommen, um die stählernen Barrieren abzubauen.

Ich fühle mich an Informations-Kompetenzkonflikte erinnert, die so wirksam sind, wie Schweigen. Ob ich wohl mit meiner Anfrage von Einrichtung zu Einrichtung im Kreis geschickt wird? Also zu den Wiener Linien. Vorsichtig gezählt finde ich auf der Homepage Namen von sechs Pressesprecher*innen, einen siebenten Namen lerne ich am Telefon kennen. Ich werde gefragt, für welches Medium ich anrufe und nenne meine vielfältigen Rollen: ich erzähle von meinem Blog, sage, dass ich Journalismus unterrichte und ein Projekt mit den Festwochen betreue. Und ja, die Recherche wird veröffentlicht, schließlich frage ich ja nach dem „Warum“ der Barrieren. Mir wird nach genauen Notizen eine Antwort versprochen, wie lange das dauert sei nicht genau vorherzusagen.

 

V is for loVe

Inzwischen denke ich an die Festwochen: beim Motto „V is for loVe“ –könnte das „V“ doch auch für „Vienna“ stehen, fällt mir ein, in der „Republic of LoVe“ dieses Jahres. Und es könnte ja sein, dass ein wenig „Ausstrecken für alle“ genauso zu „Liebe“ gehört, wie die wunderbaren Theateraufführungen, die ich schon erlebt habe.

Ich habe viel Brutalität auf der Bühne erlebt, Intrigen, Mord und Totschlag, und jetzt rege ich mich über Alltagshärten auf? Ja, weil ich die Bank ausprobiert habe und weil, ich weiß, dass mir diese Bänke, wenn ich dringend liegen müsste, kein Gefühl von Liebe und Freiheit gäben. Und nicht einmal von Sicherheit.

Ich bin also gespannt auf die Antwort der ehemals städtischen Gewista.

Und sie kommt sehr schnell:

Die Armlehnen seien nicht gegen Obdachlose gerichtet: sie hießen „Aufstehhilfen“ und sollen älteren Fahrgästen helfen, leichter aufzukommen, wenn sie im Wartehäuschen auf die Straßenbahn gewartet haben und sich aufstützen möchten.

Eigentlich bin ich sprachlos, aber am Telefon ist eine ehemalige Studentin und wir sprechen ein wenig über andere Dinge. Unter anderem frage ich sie, ob sie sich an den Satz aus der Lehrveranstaltung erinnert, dass die Geschichten auf der Straße liegen. Ich glaube sie hat ja gesagt.

 

PS: Bin nun schon zweimal an der Haltestelle vorbeigefahren. Jedes Mal haben ältere Herrschaften eine Bank bei der Haltestelle benutzt - aber die Bank neben dem Wartehäuschen. Aus Holz. Ohne „Aufstehhilfen“.

Ein Bild, das Kleidung, Person, Schuhwerk, draußen enthält.

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Zurück zu den Wurzeln des Weltmarktführers:

Werbung im Wartehäuschen   Fotos: Maximilian Reinisch

 

„Hauptsache, es rollt“ in der Alten Schmiede.