Schande in
Döbling
Oder doch nicht?
Das „rote Wien“ kann es
wohl nicht gewesen sein, den „Pinken“ traue ich es auch nicht zu, den
„Schwarzen“ des Bezirks auch nicht und über „Blau“ oder „Braun“ denke ich nicht
nach. Vielleicht war es ja das „goldene“ Wienerherz:
diesen Schluss legt jedenfalls eines meiner Telefonate nahe.
Heute in der Früh ist es
mir zum ersten Mal aufgefallen, etwas Ähnliches, das der neue Bürgermeister Dornbirns
persönlich abmontiert hat, wurde in einem Straßenbahn-Wartehäuschen an einem
meiner häufigen Fußwege installiert: eine „Anti-Obdachlosen-Bank“, so
interpretierte ich die Neuerung auf den ersten Blick: als stählerne Armlehnen
verkleidete Schikanen für Menschen, die sich auf einer Sitzbank ausstrecken
wollen.
Vor kurzem konnte ich
eine Bank in einem Wartehäuschen derselben Straßenbahnlinie noch für einen
erste Hilfe Einsatz benützen. Ein alter Mann war zusammengebrochen, bis die
Rettung da war, konnte er sich windgeschützt auf der Bank hinlegen, wurde
abgeholt – es ging von der Bank auf die Tragbare, alle die helfen konnten waren
zwar in Sorge, aber froh, dass alles so gut funktioniert hat.
An der Station Glatzgasse einiger durch Döbling fahrender
Straßenbahnlinien ist so etwas nun nicht mehr möglich.
Immer wieder sage ich
meinen Studierenden, dass journalistische Geschichten in Unmengen „auf der
Straße liegen“. Man müsse sie nur wahrnehmen.
Also beginne ich zu
recherchieren. Erstes Ergebnis: im Internet sagt mir die KI (ohne dass ich sie
gefragt hätte), dass für Fragen der Stadtmöblierung wie zum Beispiel für
Sitzbänke in Wien die Bezirksvertretung zuständig sei. Ich rufe an, komme an
eine sehr freundliche Beamtin, die mir erklärt, dass im Zusammenhang mit
Wartehäuschen entweder die Wiener Verkehrsbetriebe oder die GEWISTA, die
stadtnahe Werbefirma zuständig seien. Wäre die Bezirksvertretung involviert,
würde sie das wissen, denn „an mir geht kaum etwas
vorbei“, und im allgemeinen Gespräch, warum solche Barrieren installiert
werden, fügt sie an: „Das ist der Menschheit geschuldet“. Ich habe den
Eindruck, dass hinter dem folgenden Stoßseufzer viele dementsprechende
Erfahrungen stehen und bedanke mich für das
freundliche Gespräch.
Immer freundlich
Nächste Station GEWISTA. Im
Jahr 1921 als Einrichtung der Stadt Wien gegründet, hat sich die „Gemeinde Wien
– Städtische Ankündigungsunternehmung der Magistratsabteilung der Stadt Wien“
zur Vermarktung von Verkehrsmittelwerbung in mehr als 100 Jahren zu -
Eigendefinition - einem der größten Medienunternehmen Österreichs und
Marktführerin im „Out-of-Home-Segment“ entwickelt. Mehrheitlich gehört sie
inzwischen zum Weltmarktführer JCDecaux. Sein Gründer Jean-Claude Decaux hatte übrigens die Idee,
Buswartehäuschen Gemeinden gratis anzubieten und als Gegenleistung dort
Plakatwerbung machen zu dürfen.
Auch bei GEWISTA werde
ich äußerst freundlich informiert, allerdings werden die maßgeblichen
Entscheidungen über die Möblierung der Wartehäuschen – so höre ich – von den
Wiener Linien getroffen.
Im Gegensatz zu Dornbirn,
wo der neue SPÖ-Bürgermeister eigenhändig die trennenden Holzkeile entfernen
konnte, müsste in der Station Glatzgasse mindestens
jemand mit einer Trennscheibe vulgo „Flex“ kommen, um die stählernen Barrieren
abzubauen.
Ich fühle mich an
Informations-Kompetenzkonflikte erinnert, die so wirksam sind, wie Schweigen.
Ob ich wohl mit meiner Anfrage von Einrichtung zu Einrichtung im Kreis
geschickt wird? Also zu den Wiener Linien. Vorsichtig gezählt finde ich auf der
Homepage Namen von sechs Pressesprecher*innen, einen siebenten Namen lerne ich
am Telefon kennen. Ich werde gefragt, für welches Medium ich anrufe und nenne
meine vielfältigen Rollen: ich erzähle von meinem Blog, sage, dass ich
Journalismus unterrichte und ein Projekt mit den Festwochen betreue. Und ja,
die Recherche wird veröffentlicht, schließlich frage ich ja nach dem „Warum“
der Barrieren. Mir wird nach genauen Notizen eine Antwort versprochen, wie
lange das dauert sei nicht genau vorherzusagen.
V is for loVe
Inzwischen denke ich an
die Festwochen: beim Motto „V is for
loVe“ –könnte das „V“ doch auch für „Vienna“ stehen,
fällt mir ein, in der „Republic of LoVe“ dieses Jahres. Und es könnte ja sein, dass ein wenig
„Ausstrecken für alle“ genauso zu „Liebe“ gehört, wie die wunderbaren
Theateraufführungen, die ich schon erlebt habe.
Ich habe viel Brutalität
auf der Bühne erlebt, Intrigen, Mord und Totschlag, und jetzt rege ich mich
über Alltagshärten auf? Ja, weil ich die Bank ausprobiert habe und weil, ich
weiß, dass mir diese Bänke, wenn ich dringend liegen müsste, kein Gefühl von
Liebe und Freiheit gäben. Und nicht einmal von Sicherheit.
Ich bin also gespannt auf
die Antwort der ehemals städtischen Gewista.
Und sie kommt sehr
schnell:
Die Armlehnen seien nicht
gegen Obdachlose gerichtet: sie hießen „Aufstehhilfen“ und sollen älteren
Fahrgästen helfen, leichter aufzukommen, wenn sie im Wartehäuschen auf die
Straßenbahn gewartet haben und sich aufstützen möchten.
Eigentlich bin ich
sprachlos, aber am Telefon ist eine ehemalige Studentin und wir sprechen ein
wenig über andere Dinge. Unter anderem frage ich sie, ob sie sich an den Satz
aus der Lehrveranstaltung erinnert, dass die Geschichten auf der Straße liegen.
Ich glaube sie hat ja gesagt.
PS: Bin nun schon zweimal
an der Haltestelle vorbeigefahren. Jedes Mal haben ältere Herrschaften eine
Bank bei der Haltestelle benutzt - aber die Bank neben dem Wartehäuschen. Aus
Holz. Ohne „Aufstehhilfen“.
Zurück zu den Wurzeln des
Weltmarktführers:
Werbung im Wartehäuschen Fotos: Maximilian Reinisch
„Hauptsache,
es rollt“ in der Alten Schmiede.