rainer rosenberg

 

 

Hauptsache es rollt

 

Ein Bild, das Gras, draußen, Pflanze enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

 

Stillstand ist Sünde

Habe gerade Ersatzteile bestellt. Ersatzteile für Bremsen. Für Fahrradbremsen. Für die meisten meiner Autos habe ich Reservebremsbeläge, bloß die meisten Fahrradbremsgummis sind schon so alt, dass sie zwar gut quietschen können, ein bisschen verzögern, aber sie sind völlig ausgetrocknet.

Also habe ich mich wider meine Vorlieben bei ebay bedient – das Fahrradgeschäft meiner Wahl hat schon lange zugesperrt, seither steht das Souterrainlokal leer und schließlich waren auch die Bremsgummis für mein 70er Jahre Rennrad, die ich da bekommen hatte, auch nicht ganz historisch korrekt.

Historisch korrekt, das ist ja so ein Ding, bei berühmten Fahrrädern dürfen ja nicht einmal die kaputten Reifen getauscht werden. Fahr-Rad wird Steh- oder Hänge-Rad und dann fragt man sich, was ist denn eigentlich der Sinn, auf den die Fahrradseele, die in den hoffentlich schön geschweißten und gemufften doppelkonischen Stahlrohren auf das ewige Leben wartet, von ihrem irdischen Dasein erhofft?

 

Aufpumpen statt ablassen

Wohl nicht dekorativ in einer Ausstellung verharren. Das ist wohl mindestens so schlimm wie das Fegefeuer für gläubige Katholiken. Da hilft kein Ablass, eher ein Aufpumpen der Reifen. Und bewegt werden, mit kräftigen Tritten. Ganz nach dem Motto „Stillstand ist Sünde“.

Wenn aber so dahingerollt wird, sollte man auch stehenbleiben können – wenn ein Wiesel die Fahrbahn quert, eine Katze, ein Fuchs oder gar ein unaufmerksamer Zweibeiner. Oder aber ein Autobenützender knapp die Türe aufmacht und kaum Platz bleibt, um auszuweichen.

Deshalb also habe ich für alle Räder Bremsklötzchen bestellt, klassischerweise bei einem Händler in Frankreich. Und für das Fahrrad, das ich gerade restauriere noch dazu einen Kettenwerfer in Italien. Aus Frankreich habe ich schon eine Bestellbestätigung erhalten…

 

Dachboden oder Keller?

Das Fahrrad das ich restauriere? Ich habe es vor ziemlich genau einem halben Jahrhundert von einem Freund geschenkt bekommen, der es – war es eigentlich in einem Keller oder einem Dachboden? – eines Gasthauses verlassen hatte. Ich glaube, er wollte das Haus aus beziehungstechnischen Gründen nicht mehr betreten (weiß ich nicht genau). Ich holte jedenfalls das Rad ab und machte aus meinem kaputten ersten „richtigen“ Fahrrad und diesem echten italienischen Rennrad ein funktionierendes.

Der Rahmen war stark zerkratzt, ich lackierte mattschwarz darüber und zerbreche mir ein halbes Jahrhundert danach den Kopf, wie ich diesen Lack am besten entfernen könnte. Eisstrahlen? Nein, sagt mein Freund, der eine diesbezügliche Firma betreibt. Abschleifen? Na ja. Eventuell, höre ich, mit Abbeizmittel einstreichen und in einen Plastiksack geben, warten und schauen was passiert.

Dabei habe ich allerdings Angst, dass auch Dinge runtergehen, die eigentlich erhalten werden sollten. Stand der Überlegung im Augenblick: vielleicht etwas schleifen und dann weitersehen, vielleicht löst sich ja der Lack ohnedies.

Inzwischen habe ich schon Bilder von Rädern gefunden, die so ausgesehen haben, wie meines im Originalzustand:

 

Ein Bild, das Text enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

 

Ein hellblaues „Torpado“. Als es dann schwarz war, habe ich viel damit trainiert. 10 Gänge waren genug, und als ich mir ein neues Dusika leistete wurde Torpado oft verborgt. Und wie das halt so ist, es endete vorderhand nicht in einem Keller oder Dachboden, sondern unter einem überdachten Fahrradabstellplatz im Freien. Allerdings reichte das Dach nicht über das Fahrrad. Der Sattel war bemoost, als ich es abholte um es wieder in Pflege zu nehmen. Diesmal war das Fegefeuer feucht.

Inzwischen ist das Rad zerlegt, und ich habe wie gesagt begonnen historisch passende Teile zu finden.

Die Seele, die in den Rohren wohnt, leidet am Stillstand. Und hofft auf eine neuerliche Auferstehung.

 

21.6.2021

Rollhilfe