rainer rosenberg

 

 

 

Hauptsache es rollt

 

 

 

 

 

Season of the witch

18.10.2019

 

1966 schrieb Donovan das Lied, 1967 sang es Julie Driscoll mit Brian Auger and the Trinity. Augers Orgel, Julies Stimme, das war für uns damals 14-Jährige eine Sensation (Vielleicht dauerte es auch ein Jahr länger, bis das Lied zu uns nach Niederösterreich kam, das würde besser zur Stimmung passen, die dieser Mai mit sich gebracht hatte …).

Jetzt sitze ich in einem „Espresso“ in St. Bobo und schreibe mit der Füllfeder in mein rotes Notizbuch. Den Laptop lasse ich in der Tasche, auf ihn einzuhacken wäre hier ein unglaublicher Stilbruch. Ein Stück mit Hammondorgel kommt aus dem Lautsprecher. Digital, alles andere wäre wohl zu mühselig, um damit nur Berieselung herzustellen, die Stimme und die Orgel, die Erinnerung ist sofort da.

„Haben Sie Brioche?“ frage ich, „Nein, aber Cornetti“ ist die Antwort. Wir sind ja in einem Espresso, nicht in einer Bar. In Wien und nicht in Italien, obwohl Cornetto und Cappuccino um vieles besser sind als im Wien der 1950er und 60er Jahre, der Zeit, aus der die Möbel des Lokals stammen.

 

Neues Auto, viel zu tun.

„Season oft he witch“ – eine verhexte Saison? Na ja, geht so. Dritter in der Jahreswertung der Formel Ford 1600 im Histo-Cup mit dem 50 Jahre alten Auto. Immer wieder stehen bleiben, immer wieder von neuem weiterfahren.

 

 

Mit zwei Hochzeitsausfällen (Freund*innen haben geheiratet) und einem Motorschaden und der Erkenntnis, dass der Alexis-Motor ein sehr braver ist, wenn er denn funktioniert. Man merkt es beim Fahren und sieht es von innen. Der langsamste in der langsamsten Klasse des Feldes, und schon ist der Spitzname da: „Captain Slow“. Jedenfalls bewege ich mich diesseits der Grenzen des Reglements, das oft nur die Bedeutung einer rot leuchtenden Ampel in Neapel hat. Empfehlungscharakter, und es bietet grundsätzlich eine gute Basis für ein Dilemma – brav sein oder schnell, im Motorsport war das immer so, Grenzen werden nicht nur von den Fahrenden ausgelotet. In England messen sie manchmal bei den Schnellen nach den Rennen die PS-Zahl, aber dort gibt es große, competitive Starterfelder in den einzelnen Klassen. In Österreich werden eher die alt gewordenen Bubenträume verwirklicht, das ist dank der Rennserie Histo-Cup ohne viel Stress möglich.

 

Elektronik im Nostalgie-Lokal

Ein Rudel Englisch sprechender Menschen betritt das Espresso, zwei Laptops werden aufgeklappt, Cappuccini werden bestellt und als Berieselung läuft gerade „Don’t let me be misunderstood“, wer es singt, weiß ich nicht, vielleicht Cindy Lauper. Das Original ist von Nina Simone, berühmt wurde das Lied mit Eric Burdon. Eine Erinnerung an eine TV-Aufzeichnung huscht vorbei: Gianna Nannini und Eric Burdon singen „You’ve got a Friend“ im Schutzhaus am Ameisbach. Zu meinem Liebling Alan Price, dem ehemaligen Bandkollegen bei den Animals fallen Burdon nur abfällige Worte ein. Gianna gefällt ihm offenbar besser. Die Lieder und das Rennauto, das war alles dieselbe Zeit - in der auch die Ausblicke aus den Boxen anders waren, vielleicht so ähnlich wie beim Histo-Cup …

 

Season of the witch, eigentlich meinte ich ja 2019, nicht die 1960er aus denen das hübsche Auto stammt mit dem Namen Alexis. Bleiben wir bei den kleineren Hexereien des Jahres, beim Auto: Zündkabel funktioniert nicht wie es sollte, Vergaser locker, Motorschaden. Und ein bisschen wenig schnell ist er, aber gut aussehen, das ist sein Spezialgebiet. Es gibt keine Elektronik aber alte elektromechanische Lösungen, wie zum Beispiel einen Verteilerfinger, der locker werden kann. Nur der Transponder für die Zeitnahme ist ein Tribut an die Gegenwart und die Sicherheitsvorkehrungen im Auto und an den Rennstrecken.

Die elf Menschen vom Europäischen Marketing Treffen ist im Nostalgielokal inzwischen in seinem Element, die Sprache passt zu digitalen Welten: „creation of content“, „image change“, „high level“, „the partner needs to hear what his benefit is“. Der Benefit beim Rennen: das könnte zum Beispiel ein Ergebnis sein, wo zwei Autos im Ziel nur zwei Hundertstelsekunden auseinander sind oder apropos Hexerei: am vergangenen Samstag waren Alexis und ich erste bei einem Rennen. Trotz Boxenstopp und verfrühtem Stehenbleiben – die anderen aus meiner Klasse waren überhaupt nicht ins Ziel gekommen.

 

Drei Hochzeiten und ein Motorschaden.

19.9.2019